Der Punkt

Bye, bye Punkt
Das Punctum
Ohne Punkt und Komma sprechen
Punkt, Aus, Basta 
Jetzt mach aber mal einen Punkt

Punkt ist nicht gleich Punkt. Besonders wenn es um den Punkt als Satzzeichen im User Interface (UI) geht. Wenn euch interessiert, warum das so ist, wann ihr den Punkt auf jeden Fall vermeiden solltet oder in welchen Kontexten ihr ihn doch lieber verwendet, lest hier weiter.

Bye, bye Punkt

Beginnen wir mit einer kleinen Grammatik-Wiederholung aus dem Deutsch-Unterricht. Bei welchem dieser Sätze würdet ihr einen Punkt setzen?

Die meisten von euch dürften sich noch dunkel an diese Regeln erinnern oder eben als Einser-Kandidat:innen im Diktat die Punkte-Regeln intuitiv richtig verwenden. Anders als die Komma-Regeln lässt die richtige Verwendung des Punktes keinen großen Spielraum für mehr oder weniger ernste Streitereien. Der Punkt kommt nach einem vollständigen Satz Punkt.

Giphy

Und ein vollständiger Satz besteht mindestens aus einem Verb und einem Substantiv.

Aber das ist anders in der UI. Das beginnt schon damit, dass sich die Autor:innen der am häufigsten zitierten Style Guides über einen weitgehenden Verzicht des Punktes in der Benutzer:innen-Oberfläche einig sind.

Shopify Polaris

Als ob es in der UI keine ganzen Sätze so wie oben im Beispiel gäbe, sollen Content Designer laut Style Guide, möglichst auf den Gebrauch von Punkten zu verzichten. Auch Microsoft schließt sich dieser Empfehlung an.

Microsoft – Style Guide

Überrascht oder nicht? In jedem Fall scheint auf den ersten Blick festzustehen: Content Designer:innen, UX Writer:innen oder schlichtweg alle, die sich mit digitalen Inhalten beschäftigen, tun gut daran zu Regelbrecher:innen zu werden. Oder wie die Autorin von Because Internet es beschreibt, bei der Zeichensetzung “kreativ” zu werden. Zumindest was die Punkte-Setzung angeht. Darauf müssen wir uns übrigens nichts einbilden, denn non-konforme Zeichensetzung scheint kein neues Phänomen sein, wie eine Postkarte von Beatle George Harrison, und seiner Frau Olivia, aus den Sechzigern zeigt:

Aus: Because Internet, Gretchen Mc Culloch

Selbst Grammatik-Newbies dürfte hier auffallen, dass die Zeichensetzung hier nicht besonders konventionell ist. Aber was haben die auf einer Postkarte verewigten Kritzeleien eines Beatles mit der Interpunktion in der UI zu tun?

Antwort in aller Kürze: Den Versuch, geschriebene Sprache wie ein Gespräch von Mensch zu Mensch wirken zu lassen. Dazu dienen verschiedene sprachliche und visuelle Mittel. Im Falle von George und Olivia ist es vor allem der Bindestrich, der für Gesprächspausen steht. Oder habt ihr nicht den Eindruck, wenn ihr die Karte lest, eher einem Reise-Bericht am Telefon zu lauschen, als Leser:in einer Postkarte zu sein? Asynchrone Kommunikation wird lebendiger, Nähe wird vorgegaukelt. Rezipient:in ist nicht mehr Leser:in, sondern Zuhörer:in. In etwa so wie Rowling’s Heuler, aber hoffentlich mit besseren Nachrichten.

Giphy

Natürlich hat niemand die Absicht, die Texte in einem digitalen Produkt laut vorzulesen, aber fragt euch doch mal: Lest ihr diesen Artikel im Kopf laut mit? Natürlich tut ihr das, genauso wie die Nutzer:innen sich die Textschnipsel auf eurer Webseite selbst vorlesen, und das ist mit der richtigen Zeichensetzung viel leichter zu bewerkstelligen.

Das Punctum

Wikimedia

Der griechische Philosoph soll seinen Zeitgenossen Heraklit für seine unlesbaren Texte kritisiert haben, nicht so sehr wegen seiner Sauklaue, sondern, weil weder Sätze noch Wörter getrennt waren. Es gab also weder Punkt, noch Komma, und nicht einmal Leerzeichen.

Heraklit

Wie lange habt ihr gebraucht, um diesen Text zu entziffern und dann zu verstehen? Und wenn wir uns dann noch vorstellen, dass Texte überwiegend durch Vorlesen beziehungsweise Zuhören konsumiert wurden, ist es verständlich, dass die “Erfindung” des Punktes ein Segen für die Vorlesenden war.

Bis Anfang des 20. Jahrhunderts konnten nur wenige Personen schreiben und lesen. Und wenn wir uns erinnern, in welchem Format Schriftstücke zu Aristoteles Zeit rezipiert wurden, nämlich durch Vorlesen, erscheint die Erfindung des Punktes ein unausweichlicher Folgeschluss.

Mit einem Griffel oder Punctum trennte man Sätze und Wörter in Sinnabschnitte, um philosophische Texte “hörbar” zu machen und den Vorlesenden mit Atempausen vor der Ohnmacht zu bewahren. Das Ende eines Gedankenganges wurde also mit einem Punkt gekennzeichnet. Je nach Länge der Pause wurde der Punkt auf die X-Linie, die Mittellinie oder die Grundlinie gesetzt.

Für ein angenehmes Zuhören und eine mentale Entlastung für den Vorleser, bewusst nicht Vorleser:in, markierte das Punctum die Redegeschwindigkeit und gab Texten eine Struktur.

Ohne Punkt und Komma sprechen

Falls ihr euch noch nicht dazu entschieden habt, die Push-Notifications von Instagram zu deaktivieren, habt ihr diese Meldung sicherlich schon tausendfach zu Gesicht bekommen. Die Content-Designer:innen von Meta haben sich hier bewusst gegen den Gebrauch eines Punktes entschieden. Warum? Die Antwort “Weil das andere auch so machen” wäre offensichtlich etwas kurz gegriffen.

Es wird hier vor allem auf den Punkt verzichtet, weil das Text-Element durch die graue Unterlegung und somit seinen Inhalt vom Rest abgehoben wird. Die grafische Darstellung ersetzt den Punkt als Ende von etwas, schlichtweg.

Wie die Bedeutung der Aussage sich verschiebt, wird deutlich, wenn wir den Punkt setzen:

Der Aussage wird ein gewisser Nachdruck verliehen. Der Satz hat den Anschein eines Fazits, der nach einer Abfolge von Handlungen folgt und diese abschließt.

Andersherum bedeutet das, dass wenn wir auf den Punkt verzichten, das Ende offen ist und weitere Aktionen folgen können. Die Aussage verwandelt sich in eine Art Aufforderung, in diesem Fall zum Weiterposten: Liked your reaction to their story continue posting.

Gleiches gilt für alle UI-Elemente, die Nutzer:innen zum Fortfahren oder Reagieren auffordern oder einladen, sei es in Form von Klicks oder Ausfüllen von Formularen. Zusammengefasst so gut wie alle Text-Elemente, die Nutzer:innen auf der Reise durch ein digitales Produkt begegnen. Übrigens scheint es, dass der Duden diese “Ausnahme” von der Punkte-Regel schon mitgedacht hat.

duden.de

Punkt, Aus, Basta

Während das Content-Team von Meta Punkte an manchen Stellen bewusst nicht setzt, um die Copy klar und verständlich zu halten, entscheiden sich die Copy-Verantwortlichen in anderen Produkt-Bereichen bewusst für den Punkt.

Im Marketing-Bereich wird er oft als Stil-Mittel genutzt. Mit der Punktsetzung gewinnt eine Aussage an Stärke und Überzeugung. Das Produkt spricht selbstbewusst.

Ein sicheres Auftreten macht auch an manchen Stellen im UX-Bereich zum Beispiel im Falle einer Fehlermeldung oder einer Hilfestellung Sinn. Anders als bei Push-Nachrichten oder Erfolgs-Meldungen geht es hier in erster Linie nicht um User Engagement, sondern vor allem darum, Stress-Momente zu vermeiden oder zumindest sie in Grenzen zu halten. UX Writer:innen helfen Nutzer:innen aus der Unsicherheit, durch klare Sprache und Struktur.

Xing – Fehlermeldung

Zunächst wird das Problem geschildert, dann eine mögliche Lösung vorgeschlagen. Und der Punkt am Ende gibt dem Ganzen den selbstbewussten Touch, der den Nutzer.innen soviel sagt wie: Wir sind die Exper:innen und wir wissen, wie du hier wieder rauskommst.

Microsoft führt Fehlermeldungen explizit als Ausnahme für die Kein-Punkt-in-UI-Copy-Regel auf.

Microsoft – Style Guide

Aus Nutzer:innen-Sicht macht das auch Sinn. In Interaktionen mit der UI, die zu Verunsicherung oder Frustration führen können, verleiht der Punkt in Kombination mit einer hilfreichen Anweisung einen selbstsicheren und stärkenden Schliff.

Jetzt mach aber mal einen Punkt

Jetzt könnte es so aussehen, als würden wir den kleinen schwarzen Kreis in UI-Copy nur verwenden, um eine Aussage überzeugender wirken zu lassen. Ganz so ist es aber nicht.

Shopify – Polaris

In Fließtexten, also zum Beispiel in der Body Copy von Notifications oder 404 Pages, hat der Punkt nach wie vor seine Daseinsberechtigung.

textio – 404 Page

Der Punkt strukturiert und hilft Texte klar und verständlich zu halten. Die ursprüngliche Funktion des griechischen Punctums als Element der Abgrenzung finden wir also nach wie vor in analogen und digitalen Texten.

Intuitiv würden Menschen, die mit Texten arbeiten wahrscheinlich intuitiv den Punkt setzen, um die Lesbarkeit zu garantieren. Auf diese Weise funktioniert der kleine runde Kreis gewissermaßen als subtiles visuelles Element, ersetzt sozusagen das grafische Design.

In diesem Zusammenhang wird auch wieder deutlich, wie sich Microcopy und grafische Elemente die Hand geben, sich ergänzen. Gemeinsam funktionieren die beiden Disziplinen am besten, und genau deswegen, das sei an dieser Stelle noch einmal gesagt, ist die enge Zusammenarbeit zwischen Content und Grafik-Designer:innen so wichtig.

Source: Unknown

Und noch eine kleine Anmerkung zum Schluss

Ihr fragt euch vielleicht, warum ich vor allem englische Style Guides zitiere, und auch andere Quellen hauptsächlich aus dem englischsprachigen Raum stammen. Der Umfang an Quellen und somit die Auswahl an geeigneten Material ist in diesem Bereich wesentlich größer. Aber da Zeichen internationaler als Buchstaben sind, ihren Ursprung im alten Griechenland haben und sich von dort aus in die ganze Welt verbreitet haben, sind die Mechanismen, mit denen sie Sprache ergänzen und strukturieren, wenn nicht die gleichen, doch zumindest sehr ähnlich.

Sources

Englisch

https://uxplanet.org/the-ux-of-punctuation-part-1-period-comma-colon-semicolon-ac8f35d34e5

https://www.userzoom.com/ux-library/ux-writing-punctuation/

Eats, Shoots & Leaves: The Zero Tolerance Approach to Punctuation

https://uxwritinghub.com/3-microcopy-rules-every-ux-writer-must-know/

https://www.deutschlandfunkkultur.de/digitale-kommunikation-omg-wie-das-internet-unsere-sprache-100.html

Shopify-Polaris

Deutsch

https://webwirkung.ch/wissen/ux-design/

RADIOWISSEN: Die Geschichte der Satzzeichen - Punkt, Punkt, Komma, Strich

https://docs.microsoft.com/es-es/style-guide/punctuation/periods

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Texter oder UX Texter – was ist der Unterschied?

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Was ist Microcopy?